Die Funktion des „gesetzlichen Vertreters“ nach § 1896 BGB in Diskrepanz zur tatsächlichen Verwirklichung von Bürgerrechten
Die Veränderung des Tätigkeitsprofils von REMISSIO hat unter anderem seinen Hintergrund in den Erfahrungen der letzten Jahre. In der Nachfolgefunktion der „Amtsvormundschaft“ – die Anfang der 90er-Jahre gesetzlich abgeschafft wurde - fungiert heute der „gesetzliche Vertreter“ nach dem Betreuungsrecht formal und vordergründig als Interessenvertreter für betroffene Menschen, die aufgrund von besonderen Herausforderungen ihre Rechte nicht mehr selbst formulieren können. Insofern ist der gesetzliche Vertreter im Sinne des Bürgerrechts eine wichtige Funktion im Gemeinwesen.
Diese Funktion – nämlich die Umsetzung der Bürgerrechte – darf hin und wieder konstruktiv in Frage gestellt werden. Warum? Es könnte zweifelhaft erscheinen, ob die Verwirklichung der Bürgerrechte durch die gesetzliche Vertretung nach § 1896 BGB auch tatsächlich erfolgt.
Tatsächlich stellen wir nämlich fest, dass eine Verwirklichung der Bürgerrechte von Amtswegen deutlich als nichtkongruent zu eigenen Bürgerinteressen der betroffenen Menschen aufgefasst wird.
Wie kann das belegt werden?
- Sollen Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch beim Sozialgericht eingeklagt werden müssen, stellen wir fest, dass sämtliche Sozialrichter überlastet sind, was sich in unzumutbar langen Gerichtsverfahren widerspiegelt. Sozialrichter befinden sich arbeitsökonomisch in einer Art permanenter Notwehr und neigen dazu Rechtsprechung zu vermeiden, indem Vergleiche angeboten werden. Wer Vergleiche nicht möchte, sondern Rechtsprechung mit richtungsweisendem Charakter verlangt, der wartet nicht selten – eher ist es die Regel – viele lange Jahre auf ein Gerichtsurteil. In Sozialgerichtsverfahren ist dann die Notsituation längst um die Ecke gebracht, die Kläger womöglich verstorben oder haben notgedrungen andere Hilfeformen sich aufzwingen lassen müssen als diese, die sie eigentlich einklagen wollten. (Auch dadurch und so und auf diese Weise lassen sich Bürgerrechte womöglich aushebeln!)
- Eine Minderheit von Gesetzlichen Vertretern nach § 1896 BGB, die dennoch die Sozialgerichte beschäftigen wollten, machen sich dadurch mitunter eher recht unbeliebt in den Sozialverwaltungen und werden mit dem Aufwand des bürokratischen Gegeneifers überschüttet und so massiv „beschäftigt“, dass ihre Arbeit nicht mehr funktionieren kann.
- Darunter leiden am meisten die Betroffenen. Und wir können nicht mehr davon ausgehen, dass herausgeforderte Menschen mit Lösungen für ihre problematische Situation identifiziert sind – zu einem nicht geringen Anteil sind herausgeforderte Menschen nämlich mit der Problematik identifiziert, aus welcher sie nicht herausfinden können. Die Sozialbürokratie nimmt diesen Umstand regelmäßig auf und organisiert mit kooperationsbereiten gesetzlichen Vertretern – die schon mal die Willensäußerungen der betroffenen Menschen hinten anstellen - die Abwicklung der Lebenssituation mit einem Mindestmaß an Interessenwohl und mit einem Höchstmaß an effektiver sozialer Ruhigstellung. Wer da nicht reinpasst, der geht mit der Zeit seine Wege, die Betroffenen gehen in Einrichtungen und erfahren die Vorbereitungen bis zur Pflege und bis zum Sterben. --- . Das war schon einmal anders, als wir zum Beispiel die geschlossenen Psychiatrien in den 70er Jahren öffnen konnten und „die Verrückten“ ins Gemeinwesen integrieren konnten. Inzwischen ist dies institutionalisiert und läuft ebenfalls in ruhigen Bahnen. Die Institutionen reden nunmehr verstärkt von „Inklusion“ und meinen damit, dass die Besonderheiten im Wesen von herausgeforderten Menschen ins Gemeinwesen eher eingeschlossen gehört, als dass sich die betroffenen Menschen selbst definieren könnten, wer sie sind, was sie wollen und wie das Leben organisiert gehört. Wir geben zu, eine etwas vereinfachte und schlichte Zusammenfassung dessen, was durch sehr komplexe Konstellationen in der Gesellschaft sich zu Realitäten gerinnt.
Unsere Fehler, die wir reflektieren dazu:
- Unser Büro hat sich „weit aus dem Fenster gelehnt“ und darauf gebaut, dass Rechtsansprüche nach dem Sozialgesetzbuch SGB – insbesondere „Geld statt Hilfsmaßnahmen“ – umgesetzt werden müssen. Wir haben nicht genügend darauf geachtet, welche ökonomischen Interessen hierbei in Frage gestellt sein könnten. Die Verfilzung zwischen Sozialverwaltungen und etablierten Sozialdienstleistern und Kirchen ist enorm. Es fließt viel Geld und die Betroffenen können faktisch ihren Rechtsanspruch auf den Zufluss dieses Geldes in der Form als „Persönliches Budget“ nach dem Sozialgesetzbuch IX und XII nicht verwirklichen. Wenn man aber bedenkt, dass zwar Pflegekräfte schlecht bezahlt werden, dennoch im Medizin-, Gesundheits- und Sozialsektor hierzulande mehr Geld umgesetzt wird als in der Automobilindustrie, dann kann man sich leicht ausmalen, wie herum Menschen betroffen sind wenn sie in Not sind und wie Institutionen davon betroffen sind, um sich selbst und Arbeitsplätze mit der Gebrechlichkeit des menschlichen Dasein zu unterfüttern. Da geht es wahrscheinlich gegen alle Vorstellungskräfte, dass nämlich Menschen wieder unabhängig und autonom und gesund leben wollen. Das darf einfach nicht als förderungswürdig durch Geldzufluss erscheinen, über welchen die Betroffenen selbst ihr Leben gestalten (als „Persönliches Budget“ nach SGB IX und XII), nein, das wird in den Bahnen des Gewohnten bleiben: Ihr bekommt die professionellen Hilfen, die wir als Institutionen festlegen und damit fahrt ihr am besten, Punkt.
- In den Interessenauseinandersetzungen werden die betroffenen Menschen verschlissen und lehnen sich dann zwangsläufig mehr oder weniger verwirrt und mehr oder weniger freiwillig an das alt Hergebrachte an – damit sind wir dann vordergründig die Verlierer in juristischen Verfahren (…was soll’s (?), wir wollten dennoch geltendes Recht anwenden). Und die Frage der Bewusstwerdung und der Freiheitsrechte stellt sich auf völlig anderen Ebenen neu – vielleicht für die Betroffenen irgendwann auch dann doch noch – und für die Bürokraten und Sozialdienstleister eher als Frage, ob es sich noch bis zum Ruhestand auf dem alten Weg durchhalten lässt. Die Chancen sind dafür gegeben. Ja, wir geben zu, dass wir diese deprimierenden Einblicke ins System der Bedarfe und Hilfeleistungen so und in dieser Massivität und Normierung nicht für möglich gehalten hatten. Es ist so. Wir sind davon und dadurch sensibilisiert worden. Dafür sind wir dankbar.
- In unserer Sensibilisierung wollen wir zutrefflichere Schwerpunkte setzen. Unser Büro hat sich reduziert in der Frage was die gesetzliche Vertretung nach § 1896 BGB anlangt. Wir bieten diese Dienstleistung nur noch in wenigen Fällen an, in welchen die Betroffenen dies ausdrücklich wünschen und wollen.
- Wir beteiligen uns an der Vernetzung all der Menschen, die hinschauen wollen und die die Gesundung und die Transformation von „Erkrankung“ im weitesten Sinn nicht als Abwicklung und Schmerzbetäubung und Symptomunterdrückung begreifen möchten, sondern vielmehr als Chancen für die Stärkung der persönlichen Rückverbindung auf all den Ebenen der vitalen Energie- und Bewusstseinsfelder, aus welchen heraus der Zukunft Hoffnung, Zuversicht und Leichtigkeit entgegenkommt. Dies meint auch der Begriff „Remission“, nämlich die Widerspiegelung des Vitalen durch uns selbst, gerade auch in Anbetracht des Schattenhaften in unserer Banalität und Realität.
- Wir danken Euch für das Interesse und Eure Anfragen!