Fachliche Stellungnahme

zur Definition von Sachleistung und Geldleistung nach dem SGB für die Verwirklichung von Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets

 

 

    0. Abkürzungen

LB = Leistungs-Berechtigter
RT = Reha-Träger
DL = Dienst-Leister
BA = Budget-Assistenz

 

 

    1. Fragestellung

 

 

2. Sachleistung

Der Leistungsberechtigte „LB“ ist Antragsteller gegenüber dem Reha-Träger (z.B. Sozialamt) „RT“ und erhält nach objektiver Hilfebedarfsermittlung einen Leistungsbescheid, welcher die rechtsansprüchliche Verwirklichung von Versorgungsleistungen ermöglicht. Die Umsetzung der Versorgungsleistungen erfolgt seitens der Dienstleister „DL“ in Richtung des Leistungsberechtigten. Der Geldfluss findet ausschließlich zwischen RT und DL statt. Der Geldfluss findet auf der Grundlage von Rahmenvereinbarungen zwischen RT und DL statt. Dadurch liegt die Fallverantwortung beim RT und bei den DL. Der LB ist vom Geldfluss entbunden und hat insofern auch keine Fallverantwortung. Der LB muss sich keine Gedanken um die Organisation von Hilfen machen und bekommt erforderliche Versorgungsleistungen sozusagen als „passiver Hilfeempfänger“ bereitgestellt. Was für den LB gut ist, entscheidet der RT und setzt dies nach bestem Wissen über die DL im Rahmen der organisierten Fallverantwortung – durch Rahmenvereinbarungen und Qualitätssicherungen -  für diesen um. Eine direkte Einflussnahme des LB auf Art und Weise der Versorgungsleistungen findet nicht statt. Es handelt sich in der Regel um Pauschalleistungen, die für alle LB in gleicher Weise umgesetzt werden.

 

 

 

3. Geldleistung

 

 

Die Leistungserbringung in der Form eines Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets – d.h. als monatliche Geldzahlung - findet auf Antrag des LB gegenüber dem RT statt. Die Leistungserbringung in der Form eines Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets ist seit 1.1.2008 ein Rechtsanspruch. Diese Form der Leistungserbringung kann demnach dem LB nicht verweigert werden. Insbesondere kann dem LB nicht verweigert werden, dass er nunmehr die Fallverantwortung bei sich selbst ansiedelt. Dies bedeutet eine „Verpreislichung“ des objektiv festgestellten Hilfebedarfs in der Weise, dass die Hilfen nicht vom RT organisiert werden. Dieser hat lediglich noch die Verwaltungsaufgabe, den Hilfebedarf ermitteln zu lassen und die Geldleistung als Budget-Betrag festzusetzen und dem LB dann schließlich regelmäßig auszuzahlen. Die Fallverantwortung siedelt der LB nunmehr bei sich selbst an. Aufgrund von Beeinträchtigungen und Herausforderungen (im Sinne des SGB als „Schwerbehinderung“) erwählt sich der LB dann ggf. eine Budgetassistenz „BA“ - diese berät und organisiert, sodass der LB auf dem freien Markt der sozialen Dienstleistungen zurecht kommen kann. Dies bedeutet folgendes: Der LB erhält seine Autonomie zurück in der Weise, dass Hilfebedarfe „verpreislicht“ werden, er also selbst als Konsument auf dem Dienstleistungsmarkt auftritt und passende Hilfen selbst einkauft. Er entscheidet unter Zuhilfenahme der BA selbst, welche Hilfen er einkauft.

 

 

 

4. Fallverantwortung

Die Fallverantwortung wollte der Gesetzgeber bei dieser Form der Hilfeverwirklichung „entstaatlichen“ und dadurch die Autonomie des leistungsberechtigten Bürgers stärken, indem die Fallverantwortung ausschließlich beim LB angesiedelt ist. Folgerichtig findet der Geldfluss nunmehr vom RT zum LB statt. Ein Rechtsverhältnis zwischen RT und DL entfällt vollständig zugunsten der Selbstbestimmung des LB, welcher den Geldfluss aufgrund eigener Belange und nach eigenem Wissen und Wollen in Richtung der DL weitergibt. Dies bedeutet eine Auflösung des Dreiecksverhältnisses aus der Sachleistung in zwei voneinander unabhängige Zweierverhältnisse, zum einen das Rechtsverhältnis LB – RT und zum anderen in das Rechts- und Geschäftsbesorgungsverhältnis LB – DL. Der Gesetzgeber wollte dadurch Kosten einsparen, indem die staatliche Verwaltung „entbürokratisiert“ wird und der LB nunmehr selbst seine Hilfen organisiert. Die Einsparungen im sozialen Verwaltungsapparat müssen demnach durch Effektivitätssteigerung über die BA kompensiert werden. Wir gehen davon aus, dass die Kosteneinsparungen dadurch erfolgen, dass der Betroffene selbst besser Bescheid weiß, was er benötigt und braucht und diese Errungenschaft mit Hilfe einer – weniger Kosten – verursachenden BA passgenau und zufriedenstellender umsetzen kann. In Fachkreisen geht man davon aus, dass die BA in der Größenordnung von ca. 2 bis 5 Fachstunden pro Monat (qualifizierte Budgetassistenz  z.B. durch einen Diplom-Sozialarbeiter mit Hochschulabschluss) umfassen muss und damit deutlich weniger Kosten verursacht werden, als für den Fall, dass die Fallverantwortung beim RT angesiedelt bleibt, also bei der Leistungsverwirklichung über die Sachleistung, bei welcher die Fallverantwortung in der kostenaufwendigen Sozialbürokratie verbleibt.

 

 

5. aktuelle Praxis

Die aktuelle Praxis wird dadurch bestimmt, dass die zuständigen Sozialverwaltungen sich bislang etwas schwer damit tun, diesen „Paradigmenwechsel“ als  etwas Sinnvolles anerkennen zu können. Da es sich aber um verbürgte Rechtsansprüche handelt – wenn der LB die Form der Leistungsgewährung als Geldleistung wählt – kann nicht ausbleiben, dass sich die Sozialverwaltung gegenüber dem geltenden Recht anpasst und öffnet. Die Verwirklichung solcher Rechtsansprüche kann nur durch ein ausreichendes und bedarfsgerechtes Angebot der BA erfolgen. Die BA im Auftrag des LB kann effektiver und kostengünstiger arbeiten als die Sozialbürokratie, indem die BA am Puls des Lebens direkt ansetzt und erforderliche Hilfen deshalb direkt und unmittelbar zu erkennen vermag. Ohne BA können solche Rechtsansprüche nicht verwirklicht werden. Demnach sind die Kosten der BA im erforderlichen Umfang von 2 bis 5 Fachstunden pro Monat angemessen anzusetzen und zusätzlich zum Hilfebedarf des Betroffenen aus den freiwerdenden Ressourcen der Sozialverwaltung zu finanzieren – was der vom Gesetzgeber beabsichtigten „Entbürokratisierung“ entsprechen sollte.

Wir erkennen deutliche „Loslasshemmnisse“ in der Sozialbürokratie, indem nach Antragstellung auf Geldleistung faktisch die Fallverantwortung dennoch nicht an den LB abgegeben wird. Sowohl wird das Erfordernis einer qualifizierten BA negiert, als auch werden frei werdende Ressourcen über den vom Gesetzgeber gewollten Bürokratieabbau noch nicht zur Verfügung gestellt, indem die BA angemessen vergütet werden sollte. Die Erfahrung zeigt bisher, dass die RT unzulässig Einfluss darauf ausüben – z.B. durch Klauseln in der Zielvereinbarung – wie die Geldleistung im Einzelnen zu verwirklichen sei. Dies widerspricht dem Autonomiegedanken der Geldleistung diametral. Obwohl ein Rechtsanspruch auf Geldleistung seit 1.1.2008 besteht, ist es der Sozialbürokratie bisher nicht gelungen, die Bevölkerung entsprechend aufzuklären, sodass im öffentlichen Bewusstsein das Trägerübergreifende Persönliche Budget noch kaum verankert ist.

Es kann deshalb aus fachlicher Sicht nicht ausbleiben, dass sowohl Politik und Justiz dafür Sorge tragen werden müssen, damit sich die Sozialverwaltungen den Möglichkeiten, die der Gesetzgeber in Sachen Geldleistung vorsieht, nicht weiterhin verschließen.

Leider entsteht aktuell der Eindruck, dass die beabsichtigte „Entbürokratisierung“  - nunmehr aber zu Lasten der öffentlichen Gelder aus Steuermitteln – sich ins Gegenteil verkehrt, indem die Sozialbürokratien in der Art und Weise agieren, dass gegenüber der begehrten Umstellung auf Geldleistung für die Leistungsberechtigten und die damit verbundene Abgabe der Fallverantwortung an die Leistungsberechtigten – sehr hohe Schwellen gesetzt werden. Dadurch entsteht eine absurde Aufblähung der Sozialverwaltung, obwohl eigentlich ein Bürokratieabbau in der Sozialverwaltung vom Gesetzgeber vorgesehen wurde.

Wir bauen auf die Vernunft und auf zukunftsweisende Entscheidungen in Politik und Justiz, sodass die Selbstverwirklichung herausgeforderter Menschen gestärkt werden kann.

Die Sozialverwaltung wird durch verwaltungsrechtliche Grundsatzentscheidungen dazu gebracht werden müssen, dass die Fallverantwortung im Fall von Geldleistungen - im Sinne der Bürgerrechte – seitens der Sozialverwaltung aufgegeben wird und dafür bei den Leistungsberechtigten angesiedelt wird. Entsprechende Weisungen aus Politik und Justiz an die Sozialverwaltungen wollten im Grunde genommen dazu geeignet sein, dass sich die Sozialbürokratie in Bereichen überflüssig macht, in welchen die Leistungsberechtigten selbst – auf der Grundlage des geltenden Rechts – ihre Ansprüche verwirklichen wollen. Demnach will auch das Gemeinwohl sich dadurch gestärkt sehen, indem vermehrt Eigenverantwortung umgesetzt werden kann.

 

 

6. Empfehlung

Wir begehren im Interesse der Verwirklichung der Bürgerrechte die erforderliche Abgabe der Fallverantwortung seitens der Sozialbürokratie, wenn Leistungsberechtigte für sich die Geldleistung in Anspruch nehmen wollen. Die Fallverantwortung wird künftig – im Falle von Geldleistungen – beim Leistungsberechtigten angesiedelt sein. Er benötigt dazu selbst erwählte Beratung und Organisationshilfen als qualifizierte Budgetassistenz. Diese Assistenz verursacht entsprechende Kosten, welche aber durch den Autonomiezuwachs und durch eine gesteigerte Lebensqualität gerechtfertigt ist. Diese Kosten für eine erforderliche und angemessene Budgetassistenz amortisieren sich aus dem vom Gesetzgeber gewollten Abbau der Sozialbürokratie.
In verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren kann Klage erhoben werden mit dem Ziel, die Sozialbürokratie dazu zu bewegen, die Fallverantwortung auch tatsächlich an die Betroffenen und ihre Assistenz zurückzugeben.