Wir brauchen eine Qualitätsdebatte

„Persönliche Budgets – Aufbruch oder Irrweg?“

 

(so der Buchtitel eines Werkbuches zu Budgets in der Pflege und für Menschen mit Behinderungen – Hrsg. Thomas Klie und Alexander Spermann, 2004 Vincentz Network, Hannover – ISBN 3-87870-488-7)

Bei der Inanspruchnahme von Persönlichen Budgets nach SGB IX, XII treten in der Praxis mitunter erhebliche Schwierigkeiten auf.

Eine öffentliche Diskussion scheint in diesem Konfliktfeld dringend erforderlich. Aus den bisher noch eher rudimentären Erfahrungen in Stuttgart wird deutlich, dass folgende Problemfelder einer öffentlichen Diskussion zugänglich gemacht werden müssen:

 

1.) – die betroffenen Menschen als Leistungsberechtige -
Viele Menschen wissen nichts von ihrem Leistungsanspruch auf ein Persönliches Budget – insbesondere bildet die Bevölkerungsgruppe der Senioren, die noch keinen Pflegebedarf haben, aber durch eine körperliche oder psychische Behinderung beeinträchtigt sind, quantitativ gesehen einen anzahlmäßig auffallend großen nichtverwirklichten Hilfebedarf ab, gerade innerhalb der städtischen Bevölkerung. Aber auch im Bereich der von psychischen Beeinträchtigungen und der von Körperbehinderungen betroffenen Menschen besteht ein erheblicher  - bisher nicht umgesetzter - Anspruchsbedarf.

Fazit: Senioren und andere beeinträchtigte Menschen sollten sich zu Interessengemeinschaften zusammenschließen, sich über Perspektiven gemeinschaftlichen Wohnens und Lebens mit erforderlicher und selbst gewählter Betreuung und selbstbestimmten Hilfen auseinandersetzen.

 

2.) – die Kostenträger -
Ungenügende Information und Beratung für Leistungsberechtigte, prinzipielles Unbehagen und Skepsis seitens der zuständigen Behörden – und zu lange Bearbeitungszeiten von Budget-Anträgen – kennzeichnen die derzeitige Lage im Fokus auf die Kostenträger.

Fazit: Eine umfassende Rechtsberatung und rechtliche Vertretung, sowie eine qualifizierte Assistenz bei der Durchführung von Budgets – erscheinen deshalb unerlässlich.

 

3.) – qualifizierte Budgetassistenz –
Ohne qualifizierte Budgetassistenz und rechtliche Beratung und Vertretung sind Persönliche Budgets derzeit kaum umzusetzen. Obwohl in Fachkreisen und nach dem Willen des Gesetzgebers unbestritten, wird die qualifizierte Budgetassistenz von vielen Städten und Gemeinden als „nicht erforderlich“ angesehen und wird damit auch noch nicht finanziert, bzw. soll die Budgetassistenz aus dem Budget selbst finanziert werden. Eine Schmälerung des Budgets zum Nachteil der Leistungsberechtigten darf aber nicht erfolgen.

Fazit: Insbesondere die Aktivitäten des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/Innen e.V. – BdB – erscheinen richtungsweisend, sodass davon ausgegangen werden kann, dass eine qualifizierte Budgetassistenz künftig als vergütungsfähige Fachleistung angesehen werden kann. Musterverfahren dazu sind sozialgerichtsanhängig.

 

4.) – die sogenannten „neuen Sozialdienstleister“ –
Die Leistungsform als monatlicher Geldbetrag  -   das Persönliche Budget nach SGB IX, XII - eröffnet auch neue ökonomische Initiativen. So kommen Zug um Zug sowohl die etablierten sozialen Dienstleister auf die Idee, ihre Leistungen auch auf der Grundlage von Persönliches Budgets zu verwirklichen, als auch können jetzt „neue Sozialdienstleister“ auf dem sozialen Dienstleistungsmarkt in Erscheinung treten, ohne dass sie zuvor Rahmenverträge mit Kostenträgern abschließen müssen.

Dies bringt unter Umständen attraktive Wahlfreiheiten für die Betroffenen mit sich. Auf der anderen Seite können wir aber beobachten, dass bisher nicht gekannte Qualitätslücken in der Umsetzung von sozialen Dienstleistungen auftreten. So werden Leistungsberechtigte zur Unterschrift unter unattraktive „Versorgungsverträge“ überlistet – d.h. es können Forderungsansprüche entstehen, die womöglich vom Kostenträger nicht in entsprechender Höhe bewilligt werden und die damit zum Nachteil der Betroffenen geraten, weil diese sich dann auf einmal unter Umständen ziemlich überrascht mit rücksichtlosen Inkasso-Forderungen gegenübergestellt sehen. Auch beanspruchen diverse Dienstleister mit unseriösen „Versorgungsverträgen“ von vornherein das gesamte Budget für sich – was die eigentlich erwünschte Wahlfreiheit und damit den Grundcharakter des Persönlichen Budgets ad absurdum führt. Wir haben auch beobachtet, dass rücksichtslose „neue Dienstleister“ erst einmal Menschen z.B. in eine betreute Wohngruppe aufnehmen, dann aber diese Menschen aus der Versorgung ausschließen und in der Wohngruppe isolieren und sich selbst überlassen – weil Budgetleistungen nicht in der Form und nicht in der Schnelligkeit verwirklicht werden können, wie diese „neuen“, rücksichtslosen Anbieter dies für sich in Anspruch nehmen wollen. Dass Menschen in die Versorgung aufgenommen werden, aber dann nicht versorgt und isoliert sich selbst überlassen werden, um ökonomische Interessen durchzusetzen – wird von uns als unhaltbar kritisiert.

Fazit:  wir sprechen uns gegen rücksichtslose Praktiken von „neuen Dienstleistern“ aus und wir fordern betroffene Menschen dazu auf – wenn sie von unseriösen Anbietern benachteiligt werden – dies öffentlich zu machen. Wenden Sie sich dann an die zuständigen Hilfeplankonferenzen der etablierten Anbieter und an zuständige Sozialdienste von Einrichtungen – z.B. hier an die HPK Hilfeplankonferenz Stuttgart, benennen Sie unseriöse Dienstleister dort namentlich, wenden Sie sich an die Dienstaufsichtsstellen für Heime und ambulante Versorger, an das Ordnungsamt der Städte und Gemeinden. Lassen Sie sich nicht von unseriösen Anbietern einschüchtern oder an deren Leistungsangebote binden. Sie sollten sich rechtlichen Rat suchen für den Fall dass Budgetmissbrauch verhindert werden muss. Bedenken Sie bitte, dass das Persönliche Budget für beeinträchtigte Menschen geschaffen wurde und erst nachrangig für die Dienste, die damit ihr Geld in der Weise einer neuen Geschäftsidee verdienen wollen. Bleiben Sie wachsam und solidarisieren Sie sich interessengerecht gegen ungerechtfertige ökonomische Bestrebungen zu Lasten von Leistungsberechtigten. Unseriöses Vorgehen und mangelhafte Qualität seitens der „neuen Dienstleister“ sollte öffentlich gemacht werden, damit diese keine ökonomischen Vorteile praktizieren können - auf dem Rücken benachteiligter Menschen. Die neuen Freiheiten für die Leistungsberechtigten bedingen auch  „Kontrollverlust“ und defizitäre Qualitätsstandards seitens der neuen Anbieter.

Seriöse Abrechnung auf der Grundlage eines Persönlichen Budgets ist die Abrechnung nach Zeitaufwand mit Dokumentation der erbrachten Leistungen. Für Sozialarbeiter mit Hochschulabschluss ist eine Vergütunt pro Stunde von etwa 50 € angemessen; für Pflegefachkräfte etwa 40 € und für Hilfskräfte zwischen 15 und 25€.

Inakzeptables Vorgehen von Dienstleistern äußert sich z.B. wie folgt:

 

  1. Es werden unseriöse „Versorgungsverträge“ vorgelegt, die von vornherein Forderungen und Zahlungsverpflichtungen enthalten, die das gesamte Budget auffressen – damit wird die Wahlfreiheit des Budgets eliminiert; oder Verträge die keine Klauseln enthalten, wonach bei Aufenthalt z.B. im Krankenhaus nur eine Freihaltegebühr anfällt und nicht eine Vollversorgung – die faktisch nicht erbracht wird.
  2. Sie werden mit gerichtlichen Mahnverfahren bedroht, obwohl Sie mittellos sind und z.B. noch nicht bezahlen können, weil der Kostenträger noch nicht bewilligt hat oder weniger bewilligt hat, als ein Dienstleister von Ihnen als mittellosem Leistungsberechtigten fordert. So können Ihnen Vermögensschäden und Schulden entstehen.
  3. Unseriöse Dienstleister versuchen Sie als Klienten zu manipulieren, indem versucht wird, Ihren Vollmachtnehmer oder Ihren rechtlichen Interessenvertreter „abzukoppeln“, um dadurch Eigeninteressen als Dienstleister durchzusetzen.
  4. Unseriöse Dienstleister setzen Vollmachtnehmer, Budgetassistenten oder rechtliche Betreuer unter Druck, damit diese Forderungen gegenüber dem Kostenträger durchsetzen sollen als quasi „kostenloses Inkasso-Büros“ der Dienstleister.
  5. Dienstleister verweigern teilweise seriöse Abrechnungen als Vergütung nach  Zeitaufwand mit Dokumentation der tatsächlich erbrachten Leistungen. Pauschalen ohne Dokumentation der tatsächlich erbrachten Leistungen sind als unseriös anzusehen, weil die Leistungen, für die pauschal bezahlt wird, nicht tatsächlich nachweislich erbracht werden.
  6. Unseriöse Dienstleister verwalten das Privatvermögen von Klienten ohne saubere Buchführung mit Belegen – oder sie lassen Privatvermögen z.B. in „gemeinschaftliche Haushaltskassen“ fließen, für die keine nachvollziehbare Buchhaltung stattfindet. Oder die Einsicht in die Buchführung der Privatvermögen wird nicht umfassend oder nur schleppend zugelassen. Oder vorhandenes Privatvermögen wird verwaltet und mit anderen Forderungen gegengerechnet ohne das Einverständnis der Betroffenen einzuholen.
  7. Dienstleister rechnen Fachstunden für Sozialarbeiter oder Pflegekräfte ab, obwohl lediglich Hilfskräfte eingesetzt werden.

 

Für den Missbrauch von Budgets gibt es wahrscheinlich noch viele weitere – hier nicht genannten Beispiele – für eine gelungene Verwirklichung von Budgets sollten Sie auf ein tragfähiges Vertrauensverhältnis und auf qualifizierte Budgetassistenz setzen.